​Es ist Frühling. Die Zeit in der das Leben zum Wunder und der Mensch (wohl auch deshalb) gelegentlich wieder zum Kinde wird. Es sind jene Wochen des Jahres, in denen die Landwirte aus Keim und Blüte relativ sicher auf Ernte und Ertrag schließen. Solche "Gewissheiten" stehen dem modernen Fußball zu Saisonbeginn nicht zu Gebote. Das gehetzte Metier folgt ungleich vageren als bäuerlichen Regeln und ist für belastbare Prognosen kaum ausgelegt. Denn es ist nahezu unmöglich Denkart, Herzschlag und Gemütszustand einer großen Gruppe von Menschen stets in Gleichklang zu bringen und dauerhaft in der Balance zu halten.

Gleichwohl gibt es für ein geübtes Auge Hinweise, die sowohl bei den "Keimlingen aus eigener Saat" (ich spreche von den Talenten im Nachwuchsleistungszentren), als auch bei den an der "Börse" zugekauften Spielern, wenigstens ungefähre Schlüsse zulassen, welchen Ertrag sie einzeln und im Zusammenspiel am Ende erbringen werden.

Bei Rot-Weiß Erfurt hatte man sich im Sommer letzten Jahres unter den obwaltenden wirtschaftlichen Verhältnissen, die ausnahmslos allen bekannt waren(!), in einer Weise ergänzt und aufgestellt, dass man alsbald durchweg von einer qualitativen Verbesserung des Kaders gegenüber der Vorsaison sprach. Ein "einstelliger Tabellenplatz und der Landespokalsieg" wurden als Saisonziel ausgegeben, was machbar klang und höchst komfortabel für die Arbeit von Trainer und Mannschaft erschien. Doch das Team erwies sich im Herbst als eine Art frei flottierende Ansammlung von Individualisten, die monatelang auf der Suche nach sich selbst und dem "Wir" waren. Daneben litten die Jungs unter einer frappierenden Schüchternheit, ihre Vorzüge, der Punkte und des warmen Beifalls wegen, gerade vor heimischem Publikum zur Entfaltung zu bringen. Zuweilen trieben da und dort noch andere Dinge teilweise seltsame Blüten, deren vertiefte Darstellung ich hier aber aus einer natürlichen Abgeneigtheit gegen Kleingeist und Aufgewärmtheiten ausspare.

Dennoch gab nach alledem ausgerechnet Stefan Emmerling an Heiligabend (wir standen gerade nach der Niederlage in Jena auf Platz 10) in einem TA-Interview zu Protokoll: "Die Mannschaft hat das Zeug zu Platz 3".

Ich kann nicht gerade behaupten, dass er und ich in dieser Ansicht im Konsens verschmolzen, aber immerhin erhöhte er selbst, und das erstaunte mich schon, den Druck auf sich und die Mannschaft und erhellte dadurch ganz nebenbei natürlich auch den Fackelschein Rot-Weißer Aufstiegs-Fantasien. Das mag damals zu den festlich illuminierten Tagen gepasst haben, fand in der Folgezeit aber nicht wirklich kontinuierlichen Unterstrich. Mit Ausnahme des zweifelsfrei hervorragenden Spiels gegen den SV Sandhausen, vielleicht der Partie in Osnabrück und bereits mit Abstrichen gegen Heidenheim, traten wir nämlich auch in der Rückrunde - bei allem schuldigen Respekt vor den saisonalen Bemühungen - durch die Bank zu selten wie ein Team auf, das Platz 3 erreichen und den Aufstieg verdient haben könnte.

Als die weihnachtliche Prognose sich nach dem "Malheur von Meuselwitz" und dem Spiel in Münster zu Ostern schließlich offenbar nicht mehr halten ließ, traten einige Spieler mutig vor die Medien und gaben zu verstehen: "Für ganz vorne reicht es bei uns eben doch nicht".

Gleichzeitig realisierten ab da aber plötzlich alle die Tücke der Saisonvorgabe. Das anfänglich so leicht erscheinende Ziel war über Nacht nämlich schlagartig sehr konkret geworden und hieß nach dem Pokalaus nunmehr automatisch: PLATZ 4 ! Denn "einstelliger Tabellenplatz u n d Landespokalerfolg" lässt teleologisch eben nur eine Deutung zu: Wenn die Mannschaft im Pokal irgendwann aus der Kurve fliegen sollte, dann reichen die Plätze 5-9 in der Liga eben nicht mehr aus. Und da die Ränge 1 und 2 inzwischen gar nicht mehr und Platz 3 nur noch mit sehr viel Glück zu erklimmen sein wird, muss ergo nun Platz 4 her. Andernfalls - so die einfache Arithmetik - ist das Saisonziel nicht erreicht.

Nun sind wir zwar in Meuselwitz und Münster falsch abgebogen und die große Erbschaft (Thüringenpokal und/oder Aufstieg) ist nicht mehr möglich. Aber das Schicksal hält in seinem Testament für die ablaufende Saison, noch den "Pflichtteil des Glücks" (DFB-Pokaleinzug durch die Hintertür über die Liga) für uns bereit. Den sollten wir nicht fahrlässig ausschlagen, um nicht neuerlich mit leeren Händen dazustehen.

Ob nun am vergangenen Dienstagabend gegen Heidenheim noch die finale Wende eingeleitet worden ist, bleibt abzuwarten. Immerhin hat man sich in diesem Spiel erkennbar und mit Erfolg um Erreichung dieses Zieles bemüht. Drei Mannschaften stehen aber noch zwischen uns und dem 4. Platz. Und drei Clubs lauern auch noch hinter uns, um uns auf Rang 10 zu verdrängen. Der Tanz auf der Rasierklinge hat also jetzt erst richtig begonnen. Nun werden wir uns aufs Äußerste strecken und noch ein paar Siege herauswirtschaften müssen.

Für die vier Endspiele sollte gelten: Wo wir sind, haben andere nicht zu ordinieren! Ich wünsche mir, dass möglichst viele Spieler aus unserer Schäferidylle noch wölfische Triebe an sich entdecken und zur Wirkung bringen. Wir alle wünschen uns, dass das Team gierig auf einen Sieg in Offenbach, gegen Haching, in Chemnitz und gegen RWO ist. Keiner sollte aber darauf hoffen, dass da oder dort etwas mit "Hacke - Spitze - eins - zwei - drei" zu erreichen ist. Denn für alle diese Mannschaften geht es auch noch um etwas. Bedingungsloser Einsatz ist daher gefragt. Energie, Feuer und Leidenschaft - zu jeder Sekunde! Ich möchte das Team gerne mal glühen sehen.

Was der Verein am Ende dann von den Anstrengungen hält, wird er spätestens in den Vertragsgesprächen zum Ausdruck bringen.

Also Jungs, haut euch rein, stürmt Sonntag schon den "Bieberer Berg". Ich drücke euch mit dem ganzen Verein und seinen treuen Anhängern alle verfügbaren Daumen!

Herzlichst
Wilfried Mohren

13.04.2012 \ Mohrens Einwurf