​Das deutsch-österreichische Verhältnis stand, obschon beide Länder durch dieselbe Sprache verbunden sind, nicht immer zum Besten. So führten schon Friedrich der Große und Maria Theresia erbittert Krieg gegeneinander und Fürst Metternich verhinderte bereits auf dem Wiener Kongress die staatliche Vereinigung.

Doch irgendwie sind sich beide Länder immer nah geblieben und mögen sich im Inneren, was - aus diesseitiger Sicht - schon an den alljährlichen Urlaubsströmen ablesbar ist, die jeden Sommer in die Alpen und zurück fließen. Die prinzipielle Zuneigung vermag sogar die oft übersteigerte Rivalität eines künstlich hochgejazzten "Bruderkampfes" im Fußball nicht zu trüben, weshalb die Rot-Weiß-Rote Niederlage am vergangenen Freitagabend in München praktisch schon wieder vergessen ist.

Bei RW Erfurt ist es in diesem Jahr sogar zu einer besonders förderlichen deutsch-österreichischen Symbiose gekommen. Hier gehören inzwischen zwei, die früher selbst auf Nationalmannschaftsebene für die Alpenrepublik kickten und den melodisch ergreifenden Text der Bundeshymne "Land der Berge, Land am Strome, Land der Äcker, Land der Dome..." vor jedem ihrer Spiele intonierten, zum inneren Kern des ihrer Landesfahne farbverwandten Thüringer Drittligisten. Als Traumerfüller hat Präsident Rolf Rombach den früheren Sportdirektor von Rapid Wien, Alfred Hörtnagl, und den Ex-Coach von Wacker Innsbruck, Walter Kogler, nach Erfurt geholt und beide sorgen schon zu einem überraschend frühen Stadium ihrer Mission, zusammen mit der ganzen Organisation, für seelisches Hochdruckwetter. Nach den ersten acht Runden der neuen Saison steht der RWE jedenfalls sportlich ganz anders da, als noch vor einem Jahr.

Im Falle von Alfred Hörtnagl ist dabei allmählich wohl auch dem letzten Fan klar geworden, was er bei der Zusammenstellung des Teams wirklich vollbracht, wen er gesucht und gefunden hat: Eine Auswahl sportlich und charakterlich wertvoller Spieler, jungen wie erfahrenen, die zudem auf der Basis einer intelligenten Vertragsgestaltung für ein großes Ziel an den Verein gebunden wurden. Dabei schaute Alfred Hörtnagl bei allen Spielern vorher lieber mehrmals hin, bevor er ihnen (und ihren Beratern) sein Jawort gab. In etwa so wie jemand der auf Brautschau ist und genau darauf achtet nicht auf die Reize von Mädchen der falschen Sorte reinzufallen. Alle Neuverpflichtungen bereichern deshalb den aus der Vorsaison verbliebenen Kader in trefflicher Weise und sorgen mit für das bisher erfolgreiche Abschneiden.

Parallel dazu gilt sein Augenmerk vom ersten Tage an dem Nachwuchsleistungszentrum. Gemeinsam mit Torsten Traub baut er hier an einer Talentschmiede, die dem ambitionierten aber wenig solventen Klub in Zukunft eine sprudelnde Quelle von handlungsschnellen Ballkünstlern bescheren soll.

Zu all dem passt, dass Alfred Hörtnagl die Umsetzung seiner Fußball-Philosophie bei seinem Landsmann und Cheftrainer Walter Kogler in besten Händen weiß. Als dessen kongenialer Partner arbeitet der auf dem Trainingsplatz und an der Seitenlinie ebenso still, akribisch und unprätentiös wie Alfred Hörtnagl in seinem Büro auf der Geschäftsstelle. Beide wollen sie dasselbe: Nachhaltigkeit schaffen, ohne dass es ihnen auf diesem Wege notwendig erscheint obsessiv jede Kamera zu suchen und sich beständig in irgendein Mikrofon verbal darüber zu entleeren. Sie wollen in erster Linie durch ihre Arbeit sprechen. Die bezieht sich auch bei Walter Kogler durchaus nicht nur auf die Profi-mannschaft. In Workshops tauscht er sich mit den Nachwuchstrainern über seine Spielphilosophie aus, damit den Eleven in allen Altersstufen durch ihre Übungsleiter schnell beigebracht wird wie "die Erste" zu spielen. Überkreuzende Direktvergleiche mit den "Großen", wie am letzten Montag, sollen den Jüngeren die Theorie anschaulich machen und zeigen, was damit gemeint ist. Mit den beiden hervorragenden und aus dem eigenen Verein kommenden Co-Trainern Christian Preußer und Norman Loose, sowie Torwarttrainer Rene Twardzik vermag er seine Stärken selbstverständlich auch bei den Profis auszuspielen: Systemisch schulen und menschlich einfühlsam führen! Seinem Naturell gemäß begegnet er jedem Spieler immer zunächst als Mitmensch und erst in zweiter Linie als Trainer, auch wenn er mal eine für den Einzelnen unangenehme Entscheidung treffen muss.

Deshalb sind auch Spekulationen darüber, ob zwischen ihm und seinem Kapitän Nils Pfingsten-Reddig im Duisburg-Spiel ein Zwist entstanden sei, obsolet. Trainer und Spieler haben lange miteinander über die Auswechslung und die folgende Nichtberücksichtigung in der Anfangself gegen Wiesbaden gesprochen und beide verstehen sich daher auch weiterhin gut. Nils wiederum ist feinfühlig genug zu wissen, dass seine menschliche und fußballerische Wertschätzung durch diese situationsbedingte Maßnahme nicht gelitten hat. Denn Walter Kogler nimmt jeden mit und schließt niemanden aus. Wenn er dabei die Gemeinsamkeit hervorhebt, dass "Wir" betont, dann spricht er keinesfalls, im "pluralis majestatitis", sondern meint es auch so.

Ruhig und besonnen, freundlich aber bestimmt, sollen die beiden rot-weiß-roten Altinternationalen, in ihrem jeweiligen Aufgabenbereich, in diesem Sinne gerne weiterhin ihre Bahn ziehen und ihrer Linie, die zugleich ihrem Auftrag entspricht, folgen. Um den Verein so umzugestalten, dass wir uns bald anderen Ansprüchen zuwenden können. Sie werden dabei ganz sicher immer auf dem Teppich bleiben. Trotz der derzeitigen Erfolge. Denn gerade sie als Ex-Profis wissen am besten, dass bei dem komplexen Geschehensablauf eines Fußballspiels stets zahlreiche Imponderabilien lauern, die sich mit Begriffen wie kurzfristiger "Erwartung" oder "Enttäuschung" schlecht vereinbaren lassen. Positive Resultate werden daher von beiden Akteuren stets unaufgeregt und zurückhaltend begrüßt. Negativen Erkenntniswerten folgen umgekehrt aber auch keine überspannten Reaktionen. Sie verwandeln sie vielmehr umgehend in positive Energie. Das zeigte sich bei Walter Kogler sehr eindrucksvoll nach der Pleite gegen den MSV. Mit der Kraft, die nur das eigene Erschrecken über einen solchen Auftritt verleihen kann, traten unsere Jungs nur 75 Stunden später gegen Wiesbaden an, um mental und systemisch durch Kogler korrigiert, in der mit Bratwurstrauch geschwängerten Dämmerung eines milden Dienstagabends, ihr zweifelsfrei bislang bestes Spiel abzuliefern. Hörtnagl und Kogler, von Wesen, Wirkung und Werdegang her zwei schillernde Persönlichkeiten, wie sie die Liga sonst kaum kennt, lassen sich eben ihre Spielräume nicht durch Emotionen verengen, sondern nehmen die Geschehnisse eines einzelnen Spiels schlicht als das was sie sind: Momentaufnahmen, die nur Mosaiksteine darstellen, um am Ende ihrer Mission ein größeres, nämlich das ganze Bild der vorangegangenen Arbeit sichtbar werden zu lassen. Fast könnte man meinen, die Urmatrix ihres Handelns speise sich dabei direkt aus den hermetischen Gesetzen. Jedenfalls geht es mir oft so, wenn ich mit ihnen rede.

Es wäre schön, wenn sich möglichst viele Anhänger des Vereins der Linie anschließen könnten. Dann wird es leichter eine Situation auch immer richtig einzuordnen. Es gibt nämlich, trotz aller Euphorie des Augenblicks, auch weiterhin viel zu tun. Denn wir alle erlebten in diesen ersten Runden auch Beispiele in denen eine höhere Rendite durch manche Schusseligkeit auf dem Platz getrübt wurde. Das machte deutlich, dass wir uns eben noch nicht in die Schwergewichtsklasse der Liga befördert haben. Natürlich werden wir uns auch weiterhin an der Punktjagd beteiligen und ab jetzt nicht etwa aus Übermut nur noch an den Blumen schnuppern. Wir werden vielmehr munter mitmischen und weitere Erfahrung sammeln. Für die Zeit des Angriffs auf die 2. Liga, die erst noch kommen wird. Schon gegen Elversberg am nächsten Wochenende soll die Rot-Weiß-(Rote) Metamorphose auf dem Platz und in den Herzen der Fans weitergehen. Kommen Sie also gerne (mal) wieder vorbei. Ich glaube, es wird sich lohnen.

Eine schöne Woche und natürlich guten Erfolg beim Pokalspiel am Mittwoch wünscht Ihnen

Wilfried Mohren

09.09.2013 \ Mohrens Einwurf